Hast du Freunde bei den Armen? Diese Gewissensfrage hat der frühere Bischof von Limburg, Franz Kamphaus, einmal gestellt. Freundschaft bedeutet, „berührbar“ zu sein, dem anderen auf Augenhöhe zu begegnen, es bedeutet auch zu teilen: Zeit, Aufmerksamkeit und materielle Dinge.
„Liebt nicht nur mit Worten, sondern mit Taten.“ Diesen Wunsch gibt Papst Franziskus uns Christen zum „Welttag der Armen“ mit auf den Weg. Zum Abschluss des „Jahres der Barmherzigkeit“ vor einem Jahr hatte der Papst diesen Tag der Aufmerksamkeit für die an den Rand gedrängten Menschen ausgerufen.
Papst Franziskus ist mehr Prophet als Wirtschaftsexperte. Er stellt Menschen, die unerwünscht sind, die übersehen und beiseite geschoben werden, in den Mittelpunkt. So wie Jesus, der zum Mann mit der verdorrten Hand sagt: „Stell dich in die Mitte“ (Mk 3,1-6). Das ist auch eine Provokation.
Was wünschen sich die Armen? Sie möchten wahrgenommen, gesehen, angesehen, wertgeschätzt werden. Und dass man ihnen hilft, aus der Armut herauszukommen. Das kann schon damit beginnen, dass man dem Blick eines bettelnden Menschen nicht einfach ausweicht, sondern ihn oder sie anblickt, vielleicht ein paar Worte wechselt.
Not sehen und handeln ist eine Kurzform von Nächstenliebe, eine Kurzform für den Kernauftrag des Evangeliums. Kaum jemand trägt Armut gerne zur Schau. Sie verbirgt sich lieber. Die alltägliche Armut hat viele Gesichter und sie ist mitten unter uns, oft auch versteckt und unerkannt. Oft sind es ältere Menschen, die mit wenig auskommen müssen, die, um zu sparen, die Heizung nicht einschalten. Manchmal sind es Familien mit mehreren Kindern. Wer einmal bei der Lebensmittelausgabe von „Tischlein deck dich“ mitgeholfen hat, kann damit in Berührung kommen. Auch bettelnde „Armutsreisende“ konfrontieren uns damit. Ein Ort, an dem sich Armut für kurze Zeit nicht zu verstellen braucht, ist zum Beispiel auch das Caritas Café am Feldkircher Bahnhof. Wer auf seinem Weg in die Stadt an diesem Eck vorbei geht, dem fallen die Menschen vielleicht gar nicht besonders auf, die da ein- und ausgehen oder sich vor der Türe kurz unterhalten. Geht man hinein, trifft man auf ihre Lebensgeschichten. Und man verlässt das Café verändert und mit einem neuen Blick.
„Wenn wir vor einer mathematischen Aufgabe stehen, ist uns auf den ersten Blick klar, dass sie nach einer Lösung verlangt. Genauso muss ein Leiden verwandelt werden, wenn man es mit der Aufmerksamkeit betrachtet, die zur Liebe dazugehört.“ So schreibt Simone Weil, die französische Philosophin, Sozialrevolutionärin und Mystikerin, eine Freundin der Armen. Die Armut müssen wir bekämpfen, nicht die Armen. In jedem Armen kann uns Gott begegnen. „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“ (Mt 25,40), sagt uns Jesus in seiner Rede vom Weltgericht. Ich danke allen Menschen, die nicht wegsehen, wenn Armut sichtbar wird und ich danke allen, die helfen, die Not von Menschen zu lindern.
Bischof Benno Elbs