
Die Szene berührt mich jedes Jahr neu: Am Ostermorgen steht Maria Magdalena am Grab Jesu und weint. Zu tief sitzt der Schmerz, zu groß ist ihr Verlust. Mit dem Tod Jesu scheint auch all ihre Hoffnung zu Grabe getragen. Franz Kamphaus hat einmal gesagt, dass Tränen das „Grundwasser der Seele“ sind. Das gilt für Tränen der Trauer ebenso wie für Tränen der Freude – was man nicht zuletzt auch daran sieht, dass Menschen, die verlernt haben zu weinen, meist auch keine Freude empfinden können.
Der Ostertag beginnt also nicht mit Jubel und lauten Freudenrufen, sondern mit den Tränen einer stillen Trauer. „Es ist ein Weinen in der Welt, /Als ob der liebe Gott gestorben wär.“ Der Beginn von Else Lasker-Schülers Gedicht Weltende trifft ins Mark. In diesen Worten hallt nach, was viele Menschen in ihrem Leben erfahren: Verlust, Einsamkeit, Verlassenheit oder den Tod eines lieben Menschen. Es ist ein Weinen in der Welt – nicht nur damals, als Maria Magdalena am Grab Jesu stand, sondern auch heute. Und für viele scheint es, als ob die Welt verlassen wäre von dem, der eigentlich Halt geben sollte.
Die tiefste Hoffnung des Osterfestes liegt jedoch in der Gewissheit, dass Gott uns mit unseren Tränen nicht allein lässt. Das hat auch Maria Magdalena erfahren. Noch während sie weinte, tritt Jesus auf sie zu und spricht sie mit ihrem Namen an. In diesem Moment erkennt sie ihn und sie weiß: Er lebt. Plötzlich wird Vertrauen wieder möglich und der Blick weitet sich. Die Auferstehung Jesu, die Christinnen und Christen zu Ostern feiern, ist nicht einfach eine Antwort auf alle Fragen oder ein Trostpflaster am Ende der Geschichte. Sie ist vielmehr der Beginn eines Weges hin zu einem persönlichen Neuanfang und einem Hoffnungsfunken im eigenen Herzen. Diese Erfahrung, dass aus Tränen neues Vertrauen wachsen kann, wünsche ich Ihnen zum heurigen Osterfest.
Bischof Benno Elbs