Warum immer wieder neu anfangen? Warum erneut auf einen Menschen zugehen? Warum erneut vergeben? Warum erneut hoffen, wo es schon so oft anders gekommen ist? Warum immer wieder neu anfangen?
Die Krippe steht noch in unserer Mitte. Dort ist der zu finden, der uns eine Antwort auf diese Frage gibt: Wir sollen und müssen immer wieder neu anfangen, weil Gott mit der Geburt Jesu neuen Anfang gesetzt hat und auch mit uns immer wieder neu anfängt. Und weil wir darauf vertrauen, dass der Glaube eine Kraft hat zur Veränderung, dass er gestalten und vorwärtsbringen kann – selbst dann, wenn wir das Gefühl nicht loswerden, dass gar nichts mehr geht. Die vielen Kriege und Konflikte haben uns auch heuer wieder spüren lassen, dass wir Weihnachten in einer unerlösten Welt feiern. Doch haben wir die Zusage gehört: Gott kommt auch in die Nacht der Ratlosigkeit, der Verzweiflung, der Sorge um die Zukunft. Er hat die Nächte unseres Lebens zu einer heiligen Nacht gemacht, in der der Neuanfang eines kommenden Tages sanft zu dämmern beginnt.
Was aber hilft, einen neuen Anfang zu wagen?
Um einen neuen Anfang zu wagen, brauchen wir Segen, Zuspruch und gute Wünsche von anderen, aber auch eigene Absichten und Vorsätze. In den letzten Tagen habe ich von Bekannten immer wieder gehört, was sie sich für das neue Jahr vornehmen. Neben den Klassikern, die vor allem den eigenen und seine Figur im Blick haben, habe ich da auch gehört: füreinander zum Segen werden, Schritte des Friedens setzen, teilen, mehr Zeit mit den Liebsten verbringen, Spiritualität pflegen, sich für Versöhnung in der Familie einsetzen. Das sind alles große und wichtige Absichten. Von all dem hoffe ich, dass es im neuen Jahr mehr gebe: mehr Frieden, mehr Versöhnung, mehr Aufeinander-Hören und Aufeinander-Zugehen.
Zugleich dachte ich mir auch: Das sind große Vorhaben, die bisweilen überfordern können – erst recht dann, wenn wir meinen, wir können das alles selbst bewerkstelligen. Jedoch: Es geht nicht allein. Wir sind angewiesen auf Segen und auf die Hilfe und den guten Willen unserer Mitmenschen. Wir brauchen Segen, weil wir unser Leben nicht alleine in der Hand haben. Wir brauchen die Unterstützung anderer, weil wir nicht für uns selbst leben, sondern gemeinsam mit unseren Nachbarn, Arbeitskolleginnen, Freunden, Familienmitgliedern. Wir brauchen den Segen und die Hilfe Gottes, ohne den wir nichts vermögen.
Dieser Blick auf die Mitmenschen führt unmittelbar zu einem zweiten Punkt. Neuanfänge betreffen nicht nur mich, sondern sind auch ein Gemeinschaftsprojekt. Der raue Ton in Gesprächen, in den Medien und in den sozialen Netzwerken und eine, so nehme ich das war, zunehmende Ellbogenmentalität belasten das Zusammenleben. Wo auf Spaltung und Abwertung anderer Menschen gesetzt wird, braucht es Gegenbewegungen. Gehen wir deshalb aufeinander zu, aber nicht aufeinander los. Begegnen wir einander mit Respekt und Verständnis. Übernehmen wir Verantwortung füreinander. Setzen wir uns ein für Nächstenliebe und Zusammenhalt. Und beginnen wir damit nicht erst morgen, sondern schon heute.
Dieser Dienst an der Einheit ist der Kirche in besonderem Maße aufgetragen. Wir sind eine große Gemeinschaft von vielen unterschiedlichen Menschen und Ansichten. Man wird nicht immer einer Meinung sein. Umso wichtiger ist es aber, das Bewusstsein wachzuhalten, dass wir zusammengehören und dass uns eines eint: der Glaube an einen Gott, der für uns alle Mensch geworden ist. Katholisch-sein heißt: Es geht nicht ohne die anderen. Es braucht alle: die Alten und die Jungen, die Konservativen und die Progressiven, die Akademiker und die Arbeiter, die Frommen und die Zweifler. Sie – wir – alle sind Teil der Kirche. Sie, wir alle sind Teil einer großen Gemeinschaft, die die Hoffnung und das Vertrauen in Gott nicht aufgibt.
Das neue Jahr bricht an. Wir wissen nicht, was kommt: Glück oder Unglück, Freude oder Trauer, Segen oder Fluch. Wir wissen nicht, was die nächste Freude oder das nächste Unglück sein wird. Wir wissen nicht, wie lange die Kriege noch dauern oder ob es gelingt, das Klima und damit die Zukunft der nächsten Generation zu schützen. Die Probleme des alten Jahres werden uns auch ins neue hineinbegleiten. Es macht aber einen Unterschied, besser: Wir machen einen Unterschied, wenn wir diese ersten Schritte im Vertrauen auf den Segen und die Nähe Gottes gehen.
Das neue Jahr liegt im Ungewissen. Als Christinnen und Christen aber haben wir den Mut und das Vertrauen, unser Leben im Licht Gottes zu sehen und die Geschichte unseres Lebens als eine Geschichte der Hoffnung und der hoffnungsvollen Neuanfänge zu deuten. Dieses Grundvertrauen kommt auch in Psalm 37 zum Ausdruck, wo es heißt: „Befiehl dem Herrn deinen Weg, vertrau ihm – er wird es fügen.“ (Ps 37,5) Auf diese Hoffnung können wir setzen, weil sich Gott selbst in unser Leben hineinbegeben hat und von innen her Trost und Zuversicht schenkt. Er ist der Weg, auf dem wir gehen. Er ist die Wahrheit, der wir trauen können. Er ist das Leben, das Leben in Fülle.
Von Herzen wünsche ich Ihnen ein von Gott gesegnetes neues Jahr 2024!